15. - 16.03.2020: Barichara

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15.03.2020: Piedecuesta nach Barichara

Wir haben gestern ein Update von unserer Website gemacht und über unsere aktuelle Lage in Kolumbien per Email berichtet. Daraufhin haben wir einige Antworten von Freunden aus aller Welt bekommen. Annette und Bob aus Kelowna befinden sich gerade auf einer Kreuzfahrt rund um Südamerika. Sie durften in Cartagena, Kolumbien, zwar andocken, um die Vorräte aufzufüllen, aber ein Landgang war schon nicht mehr erlaubt! Sie sind ebenfalls verunsichert und wissen nicht, wie es weiter gehen soll. Diverse Kreuzfahrtschiffe, die sich auf Touren in Asien befinden, stecken in den dortigen Häfen fest und die Passagiere dürfen das Schiff nicht mehr verlassen. Auf einem kommt es zu einem großen Corona-Ausbruch und es sterben sogar Leute an Bord. (14 Tage später gelingt es Bob und Annette schließlich, wie geplant in Fort Lauderdale, USA, von Bord zu gehen und nach Kanada zurückzukehren, bevor auch dort alle Grenzen geschlossen werden! Sie hatten wirklich Glück!)

Heute ist Sonntag und wir hoffen einfach mal, dass es weniger Verkehr auf den Straßen gibt und das wir ohne Probleme an den enormen Straßenschäden aufgrund des Erdrutsches vorbeikommen. Nach dem Frühstück packen wir also alles zusammen und machen uns startklar für die Abfahrt.

Wir verabschieden uns von John, dem Manager, und wünschen ihm viel Glück für die Zukunft. Anschließend geht es zu einem nahe gelegenen Metro Supermarkt. Hier decke ich uns erst einmal mit Vorräten ein, die wir bestimmt in den nächsten 2 bis 4 Wochen benötigen werden - Reis, Bohnen, Toilettenpapier. Yep, auch wir gehören zu dieser besonderen Spezie von Menschen!!! Es ist aber NOCH kein Panikkauf! Wir sind auf dem Weg nach Barichara und das ist ein kleines Kolonialdorf in den Bergen. Die Chancen, dort einen großen Supermarkt zu finden, sind gering!

Südlich von Piedecuesta sehen wir dann die enormen Schäden vom Erdrutsch (siehe unsere Bilder oben) - eine echte Katastrophe für die hier lebenden Menschen! An der Straße wird noch gearbeitet. Bagger versuchen mit Sand die Flussufer wieder einigermaßen zu stabilisieren. Einige Male müssen wir kurz warten, kommen aber ansonsten erstaunlich gut durch. Am Sonntag gibt es eben weniger Verkehr.

Unsere Fahrt führt uns durch eine spektakuläre Berglandschaft. Am Parque Nacional Del Chicamocha machen wir eine Kaffeepause. Die hiesige Anlage ist eine Art Vergnügungspark mit Aussichtspunkten und einer Seilbahn, die über den Cañón del Chicamocha führt. Leider ist es heute ein wenig diesig und die Aussicht in den Canyon nicht besonders gut. Deshalb sparen wir uns den teuren Eintritt.

Zum Kaffee gibt es ein frisches Baguette und wir öffnen ein Glas hausgemachte Marmelade von Marion (Campingplatz Hasta La Pasta in Paraguay). Lecker! Zeitgleich - und reiner Zufall - schickt uns Marion eine Nachricht, dass jetzt auch die Grenzen von Paraguay und Argentinien geschlossen sind.

Wir setzen unsere Fahrt nach Barichara fort und fahren in den Bergen ständig rauf und wieder runter, von 1800 Höhenmeter bis auf 650m und wieder hoch! Es ist bereits dunkel, als wir in San Gil von der Hauptstraße abbiegen und die schmale, kurvenreiche Strecke nach Barichara fahren. Zum Glück sind es nur 25km, denn wir fahren nicht gerne im Dunkeln.

Barichara gehört zu den Pueblos Magicos - den magischen Dörfern - in Kolumbien. Zu Recht! Die alte Kolonialstadt ist wirklich sehenswert! Allerdings müssen wir in den steilen Kopfsteinpflasterstraßen erst einmal unseren Weg zum Übernachtungsplatz finden. Es ist ein großer Platz hinter der Capilla de Santa Bárbara Kirche neben einem Schwimmbad. Dort steht auch schon ein anderes Wohnmobil mit französischem Kennzeichen.

Unser Plan ist hier zwei Nächte zu bleiben und dann weiter nach Villa de Leyva zu fahren. Deshalb schnappe ich mir gleich die Kamera, um ein paar Nachtbilder von Barichara zu machen. Es ist total ruhig im Dorf und ich bin fast alleine in den Straßen unterwegs, denke mir aber nichts dabei.

Abends schauen wir uns dann eine Deutsche Talkshow an. Eine Ärztin kritisiert bei Anne Will den geringen Abstand zwischen den Talkteilnehmern - es sind keine 2m! Ooops! Wir erfahren, dass sich die heute festgestellten positiven Coronafälle bereits vor 5-10 Tagen angesteckt haben. In dieser Zeit haben sie aber vielleicht schon ganz viele andere angesteckt, obwohl sie unter Umständen gar keine Symptome hatten. Ach, du Scheiße! Das hat es unter den Corona Viren noch nie gegeben. Normalerweise kann man die Krankheit nur weitergeben, wenn man Symptome hat. SARS-CoV-2 oder Covid 19, wie der Virus jetzt heißt, birgt laut dem Virologen Kekulé enorme Gefahren und es kann zu einer weltweiten Pandemie mit schweren gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen kommen. Deutschland hat zu diesem Zeitpunkt bereits 4800 Coronafälle, 12 Menschen sind gestorben. In der nächsten Woche sollen alle Schulen und Kitas bundesweit geschlossen werden. In Italien und Spanien ist seit einer Woche der komplette Lockdown im Land. Österreich folgt morgen, die ersten Grenzen werden in Europa geschlossen. Die Runde diskutiert, was man jetzt genau machen soll, damit sich der Virus in Deutschland nicht exponentiell ausbreitet. Interessant ist die Aussage von Kekulé, dass wenn die ganze Welt zwei bis drei Wochen zu Hause bleiben würde und Kontakte vermieden werden, dann wäre das Virus weg! (Ich schreibe diesen Bericht mehr als ein Jahr später und denke: Wenn wir nur genau das getan hätten!!)

Jedenfalls wird uns an diesem Abend das erste Mal so richtig bewusst, was da eigentlich alles auf uns zukommen könnte. Und schon am nächsten Tag wird unsere eigene Welt völlig unerwartet auf den Kopf gestellt!

16.03.2020: Barichara

Beim Frühstück haben wir noch keinen blassen Schimmer, dass dies unser letzter Tag in kompletter Freiheit sein wird! Wie lesen zwar in den Nachrichten, dass Kanada, die EU und Chile ihre Grenzen geschlossen haben, aber das ist in den meisten anderen Südamerikanischen Ländern ja auch schon der Fall. Dennoch können wir uns ja im Land noch frei bewegen ... denken wir jedenfalls.

Helen macht nach dem Frühstück einen Spaziergang durchs Dorf, sie hat ja noch nichts gesehen, und bringt uns zum Kaffee ein leckeres Stück Kuchen aus der hiesigen Bäckerei mit. Ich gehe anschließend los und mache meine Fotos von Barichara im Sonnenlicht. Es ist ein herrlicher Tag und es macht richtig Spaß jetzt auch die feinen Details im Dorf zu entdecken. Wirklich fotogen hier!

An einer Straßenecke bemerke ich ein Auto mit Sprechanlage, dass von links den Hügel runterkommt. Normalerweise nehme ich davon nie wirklich Notiz, denn in Südamerika ist es Gang und Gebe, dass Händler ihre Ware mit plärrenden Lautsprecheransagen verkaufen. Dieses Mal fällt es mir aber schon auf, denn das Wort "Corona virus" kommt in jedem Satz vor. Außerdem leuchtet ein rotes Licht auf dem Dach des Autos. Mein Spanisch ist gut genug, um zu verstehen, dass die Ansage die Bewohner von Barichara bittet zuhause zu bleiben und Abstand zu halten. Oh, oh ... vielleicht sind deswegen außer mir nur wenige Leute in den Straßen unterwegs. Jetzt wird mir erst bewusst, dass man mich auch immer etwas länger anschaut, wenn ich freundlich mit einem "Buenas!" Hallo sage.

Ich erzähle Helen davon. Irgendetwas ist im Gange ... müssen wir uns Sorgen machen? Helen schickt Kika erneute eine WhatsApp und fragt, ob sie was neues gehört hat. Kika ruft daraufhin die Marokkanische Botschaft in Bogotá an (sie ist Marokkanerin und hat sehr gute Verbindungen!) und erfährt, dass Bogotá in 2 Tagen in den Lockdown gehen wird - vermutlich auch andere Teile des Landes - und dass Touristen und Reisende wie wir umgehend eine Unterkunft finden sollten.

Wir hatten ursprünglich geplant, auf dem Rückweg nach Ecuador in ein paar Wochen auf ihrem Campingplatz nördlich von Popayán zu bleiben. Von Barichara aus sind das aber noch etwa 900km bis zu Kikas Campingplatz ... das schaffen wir in zwei Tagen nie! Was nun? Wir gucken auf iOverlander nach und finden den Guaimaro Campingplatz wenige Kilometer außerhalb von Barichara. Er wird von Holländern geführt. Wir schicken sofort eine WhatsApp, um zu sehen, ob sie offen sind. Die Antwort kommt prompt "Wir müssen darüber nachdenken!" Der Campingplatz ist vor 2 Tagen wegen des Coronavirus geschlossen worden. Wir schreiben eine weitere Nachricht: Wir sind definitiv nicht infiziert und bereits seit 7 Wochen in Kolumbien. Wir sitzen jetzt völlig überraschend in Barichara fest und können nirgendwo sonst hingehen. Etwas später am Abend schickt uns Joep das OK, dass wir kommen dürfen, vorausgesetzt, wir begeben uns in den ersten zwei Wochen selbst in Quarantäne. Super! Kein Problem! Hätten wir eh gemacht!

Da wir keine Ahnung haben, wie lange wir hier nun festsitzen werden, gehen wir in Windeseile durch, was wir unter Umständen in den nächsten 4 bis 6 Wochen dringend benötigen. Propan auf jeden Fall! Da soll es in San Gil eine Propangas-Abfüllstation geben. Die wollten wir eh nach unserem "Kurzbesuch in Barichara" aufsuchen. Geld brauchen wir auch. Auf MapsMe finden wir ein Western Union-Büro in San Gil. Außerdem gibt es dort einen großen Metro Supermarkt. Also wird schnell eine lange Einkaufsliste erstellt. 14 Tage Quarantäne bedeutet, dass wir ganz sicher nicht einkaufen gehen können.

Uns brummt der Kopf. Von jetzt auf gleich hat sich alles geändert. Wir sind trotz all der Vorwarnungen und Nachrichten doch etwas verwundert, dass es uns so schnell trifft. Hätten wir echt nicht gedacht. Wir schicken Uwe und Claudi eine WhatsApp, damit sie sich schon mal auf ähnliches in Argentinien einstellen können. Anschließend bekommen wir die ganze Nacht kein Auge zu. Nicht nur wegen Corona, sondern auch wegen lästiger Mücken im Auto.